Zwischen Salad Bowl und Melting Pott.
Vor kurzem erschien ein Meinungsartikel meines Freundes Kamuran Sezer vom Futureorg Institut für angewandte Zukunfts- und Organisationsforschung im Tagesspiegel mit dem Titel »Türke mit deutschem Pass – was sonst?«. Ich merke an solchen Integrationsdebatten immer, dass (unbewusst) unterschiedliche Konzepte von Integration aufeinanderprallen, ohne dass vorher geklärt wird, wer welches Modell vertritt.
Aus den USA kenne ich zwei Modelle: die Salad Bowl (»Salatschüssel«) und den Melting Pot (»Schmelztiegel«).
Eine Salad Bowl-Gesellschaft besteht aus vielen verschiedenen Kulturen (Blattsalat, Tomaten, Gurken, Zwiebeln, Petersilie, etc.), die sich alle in einer gemeinsamen Schüssel befinden und alle ihre eigenen Charakteristika beibehalten, die aber über das Dressing miteinander verbunden sind. Jede Zutat kann einzeln genossen werden und ergibt im Zusammenspiel mit den anderen trotzdem einen harmonischen Genuss.
Diese Vorstellung entspricht so in etwa der Multi-Kulti-Gesellschaft.
Der Melting Pot wiederum geht davon aus, dass alle Zutaten zu einem neuen Ganzen verschmelzen. Beispielsweise wird aus Mehl, Hefe, Wasser, Salz, etc. ein leckeres Brot, dem man nicht mehr ansehen kann, woraus es tatsächlich besteht. Die Zutaten haben ihre Konsistenz aufgegeben und ergeben zusammen etwas Neues. New York wird immer als Paradebeispiel für einen Melting Pot genannt (ich kann’s nicht bestätigen, war nie dort).
Politische Forderungen nach Assimilation z. B. laufen eigentlich darauf hinaus, dass Migranten die Kultur ihrer Vorfahren aufgeben und vollständig in die deutsche Kultur aufgehen. Praktisch mit der deutschen Kultur und Gesellschaft verschmelzen wie beim Melting Pot. Nur dass in diesem Falle aus Hefe Mehl wird. Das ist für Menschen wie mich allerdings quasi ein Ding der Unmöglichkeit, weil ich mein Aussehen nicht ändern kann, um dem Bild eines weißen Mitteleuropäers zu entsprechen (»Man sieht ja, dass Du kein Deutscher bist!«).
Auf der anderen Seite haben viele Deutsche offenbar Angst, dass sich ihre eigene Kultur aufgrund der vielen »Fremden« verändert, sie nicht mehr »deutsch« ist. Wie Thilo Sarrazin titelte: Deutschland schafft sich ab. Zumindest das alte Deutschland. Denn darauf liefe ein Melting Pot hinaus: Dass wir alle zu etwas anderem werden, eine neue Kultur, ein neues Deutschland schaffen. So wie aus Mehl und Hefe Brot wird.
Aber dagegen sträuben sich sowohl Menschen mit als auch Menschen ohne Migrationshintergrund. Sie wollen Mehl und Hefe bleiben. Alle fürchten das, was sie verlieren, und sehen nicht, dass sie dabei auch gewinnen.
Umso attraktiver erscheint vielen die Salad Bowl. Wir alle bleiben, wer wir sind, und leben trotzdem friedlich mit- und nebeneinander. Leider sehe ich im Moment nicht, dass wir alle durch ein Dressing miteinander verbunden sind, das uns auch allen gleich gut schmeckt.
Ich persönlich bin mir allerdings auch nicht sicher, wie realistisch so eine Salad Bowl auch tatsächlich ist. Mag sein, dass große »ethnische« Gruppen tatsächlich unter sich bleiben und ihre Ursprungskultur beibehalten können, eine Tomate also immer eine Tomate bleibt. Aber bei kleineren Gruppen wie den Koreanern wird es viele geben, die weder Mehl werden noch Hefe bleiben, sondern eher zum Brot werden.
Sowohl das Bild der Salatschüssel als auch das des Schmelztiegels können Integrationserscheinungen in diesem Lande erklären. Sie sind beide aber nicht das Nonplusultra, denn sie bilden nur zwei Möglichkeiten des Zusammenleben ab, die nicht auf jeden in gleichem Maße zutreffen. Wir sind alle Teile verschiedener, auch mehrerer Familien und Kulturen, und gehören doch auch alle ein und derselben Familie an.
Kamuran spricht davon, sich nicht in der »völkischen Ursuppe bis zur Unkenntlichkeit« aufzulösen. Wir sind in der Tat nicht einfach nur das Salz in der Suppe. Deutschland verändert sich, hat sich immer verändert und wird sich immer verändern. Eine Gesellschaft, die heute so ist wie vor 50 oder 100 Jahren, nennen wir anachronistisch.
Hier muss die Integrationsdebatte eigentlich ansetzen: Wie soll das Ganze, die deutsche Gesellschaft in Zukunft aussehen? Wie sieht das Deutschland aus, mit dem sich alle identifizieren können und in dem wir alle Landsleute, alle Brüder und Schwestern sind? Welche gemeinsamen Traditionen verbinden uns?