Vor ein paar Wochen hatte ich einen kurzen, aber heftigen Hautausschlag. Teilweise sah meine Haut so aus, als hätte ich voll in Brennnesseln gegriffen. Der Grund für meinen Hautausschlag war aber eine allergische Reaktion auf etwas in meinem Essen. Möglicherweise sind auch mehrere Faktoren auf einmal zusammengekommen, die nur durch diese Kombination diese Reaktion ausgelöst haben. Hätte ich nicht gewusst, dass ein derartiger Hautausschlag auch als allergische Reaktion auf Lebensmittel entstehen könnte, ich hätte gedacht, ich leide an Alzheimer, konnte ich mich doch nicht daran erinnern, in Brennnesseln gegriffen zu haben.
Ein Symptom wie Hautausschlag kann also verschiedene Ursachen haben. Ein oberflächlicher Blick auf den Hautausschlag allein hätte keine befriedigende Antwort geliefert.
Ähnlich sieht es mit Nordkorea aus. Oberflächlich betrachtet macht sich da gerade der Führer eines kommunistischen Landes zum Affen. Weil viele nicht verstehen, was Kim Jong Un da gerade macht und was er will, hilft mensch sich mit der einfachsten Erklärung: Der Mann ist verrückt.
Aus koreanischer Sicht gibt es noch andere Erklärungsansätze, wie die Vorsitzende des Korea Verbands, Nataly Jung-Hwa Han, in einem Radiointerview erklärt. Darüber hinaus würden Menschen, die in Nordkorea gearbeitet haben und auch Südkorea gut kennen, von sehr vielen Ähnlichkeiten zwischen Nord- und Südkoreanern berichten (ab ca. Minute 4:50). Als ich vor über 20 Jahren selbst in Nordkorea war, hatte auch ich den Eindruck, dass ich es eher mit sehr konservativen Koreanern zu tun hatte (egal, was die Nordkoreaner von sich selbst behaupten) und nicht mit strammen Kommunisten. Die „Engstirnigkeit“ der Menschen ist aus meiner Sicht eher dem konfuzianischen Erbe geschuldet denn der Ideologie. Da westliche Menschen aber offenbar so gut wie keinen Zugang zu diesem Teil der koreanischen Mentalität finden, bleibt ihnen als einzige Erklärung offenbar nur die Ideologie.
„Beruhigend, dass die deutschen Medien doch in der Lage zu sein scheinen, vernünftige und unaufgeregte Situationsbewertungen zu erstellen.“
So ist es auch kein Wunder, dass gerade deutsche Medien häufig in Hysterie verfallen, wenn sie über Nordkorea berichten, anstatt den Dingen mal wirklich auf den Grund zu gehen. Das geht so weit, dass das Nordkorea-Info-Blog sogar lobend erwähnen muss, wenn deutsche Journalisten sich wieder ihrer Profession erinnern und sachliche Analysen bieten (s. obiges Zitat). Warum schafft es ein deutscher Blogger, sich dem Thema Nordkorea viel sachlicher und umfassender zu widmen, als die deutsche Journaille? Keine Zeit? Kein Geld? Keine Lust?
Den Vogel schießt aus meiner Sicht allerdings ein Kommentar im Handelsblatt ab mit dem Satz: „Der Fall Nordkoreas entlarvt nämlich, dass es zwischen Kommunismus und Gewalt einen zwangsläufigen inneren Zusammenhang gibt.“
So ein Satz entlarvt aus meiner Sicht eher die ideologischen Scheuklappen des Autors als irgendeinen Zusammenhang zwischen Kommunismus und Gewalt. So ein Satz entlarvt, dass der Autor offenbar noch nie in Nordkorea war, offenbar auch noch nie in Südkorea war, offenbar noch nie mit Nordkoreaner gesprochen hat, wahrscheinlich auch kein Koreanisch kann und über keinerlei Kenntnisse der koreanischen Geschichte verfügt. Wenn ich keine Ahnung vom Thema habe, bleibt als Schreibmotiv offenbar nur eines: Ideologie.
Nordkorea sei ein Beleg dafür, dass es zwischen Kommunismus und Gewalt einen zwangsläufigen inneren Zusammenhang gäbe?
Wenn dem so wäre, dann müsste ja auch angesichts von knapp 40 Jahren (Militär)Diktatur (und stets in Gegenwart von rund 20.000 US-Soldaten) Südkorea ein Beleg für den zwangsläufigen inneren Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Gewalt sein. So ein Quatsch.
Wenn ich verstehen will, warum ich plötzlich einen Hautausschlag habe, dann muss ich mich damit beschäftigen, wie mein Körper beschaffen ist, welche Faktoren meinen Körper beeinflussen, welche Kombination von Faktoren in diesem Fall die Reaktion ausgelöst hat.
Wenn ich Nordkorea verstehen will, dann muss ich ebenfalls eine Menge Fragen stellen, die Ereignisse hinterfragen und anfangen, mit Menschen zu reden statt über sie. Wie ist Nordkorea entstanden, warum ist Korea überhaupt geteilt, wie denken Koreaner, wie unterscheiden sich Nord- und Südkoreaner, welche Rolle spielen die USA und China, welche Rolle spielt die Juche-Ideologie, wie unterscheidet sie sich von anderen kommunistischen Ideologien, wie unterscheidet sich die Denkweise der Menschen, die die Teilung und/oder den Koreakrieg am eigenen Leibe erlebt haben und die erst nach dem Koreakrieg geboren wurden, welche innenpolitischen Entwicklungen spielen eine Rolle, wie stehen alle Beteiligten zur Wiedervereinigung Koreas, wer verfolgt welche Interessen dabei, etc.
Ich weiß. Kompliziert. Aber einfache Antworten liefern nur Religion und Ideologie.
P.S. Warum ich auch sauer bin: Ich spreche nur rudimentär Koreanisch. Koreanische Zeitungen oder sonstige Medien auf Koreanisch kommen daher für mich als Informationsquelle nicht in Frage. Zumal ich die Neutralität sowohl der nord- als auch südkoreanischen Quellen etwas anzweifle.
Ich bin also auf deutsche oder englischsprachige Quellen angewiesen, und ich würde bei solch komplexen Themen gerne deutsche Quellen bevorzugen. Aber wie soll ich mich auf dem Laufenden halten, wenn deutsche Medien offenbar nicht in der Lage sind, sachlich, fundiert und ideologiefrei zu berichten? Zumal auch englischsprachige Quellen ebenfalls nicht wirklich besser sind.
Allein meine Erfahrung im Elternhaus und während meiner Besuche in Nord- und Südkorea sagt mir, wie viel Unsinn dann doch geschrieben wird. Sonst wäre ich genauso blind wie alle anderen Menschen und müsste auf Informationen vertrauen, die auf Vorurteile und Ideologie beruhen.
Nur, ist es meine Aufgabe als Bürger, die Medien zu informieren oder ist es die Aufgabe der Medien, mich zu informieren?
Einseitige Berichte führen nur zu einseitigen Meinungen, die wiederum zu Vorurteilen führen, die wiederum jeden Dialog verhindern.
Doch nur über einen Dialog erreichen wir einen Frieden in Korea.
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