Zur Zeit ist der Bürgermeister von Seoul (gesprochen: Seo wie in Softdrink und Ul wie in Ulrich), der Hauptstadt Südkoreas, in Berlin. Anlass für den Berliner Tagesspiegel zu berichten, was Berlin und Seoul gemeinsam haben und dabei auch an die Vergangenheit zu erinnern.
Mich erinnert das daran, was Berlin und Seoul 1989 unterschieden hätte:
Berlin hatte die Menschen der DDR mit offenen Armen empfangen.
Seoul hätte die Menschen aus Nordkorea wohl eher zurückgedrängt oder verhaftet.
Gleich der erste Satz in dem Artikel „In Berlin fiel die Grenze vor 25 Jahren, Südkorea hofft noch auf die Wiedervereinigung mit dem Norden“ ruft in mir wieder in Erinnerung, dass das so nicht hätte sein müssen. Denn zur gleichen Zeit ereignete sich etwas in Korea, das ebenfalls Geschichte hätten schreiben können, was aber „der Westen“ völlig aus seinem Geschichtsbewusstsein verdrängt hat. Hätte die Frankfurter Rundschau (vielleicht auch andere Zeitungen – ohne Internet war das damals für mich nicht zu überschauen) damals nicht mehrmals über die damaligen Ereignisse berichtet, ich hätte wohl jetzt geschrieben, der Westen ignoriere den Rest der Welt völlig. Im Folgenden fasse ich nur zusammen, woran ich mich ad hoc erinnere, als ich damals Ende Juni bis Anfang August in Nordkorea war. Alles Geschilderte hier ist daher sehr subjektiv und bedarf eigentlich einer vernünftigen Aufarbeitung.
Was war passiert?
1989 fanden in Nordkorea die 13. (sozialistischen) Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Zu diesem Anlass hatte die nordkoreanische Regierung junge Auslandskoreaner und -koreanerinnen eingeladen. Zahlreiche junge Menschen aus Japan, Kanada, den USA, Australien, Russland und China folgten der Einladung, wobei die Gruppen aus den sozialistischen Ländern und aus Japan naturgemäß weit größer waren als die Gruppen aus dem „Westen“. Mit dabei waren drei junge koreanischstämmige Menschen aus Deutschland, die zusammen mit der Vertreterin aus Südkorea, Lim Su-Kyung, von Ostberlin aus nach Pjöngjang flogen.
Während dieser Weltfestspiele erfuhren wir, dass nach den Spielen ein „Friedens- und Wiedervereinigungsmarsch“ vom Berg Paekdu im Norden und vom Berg Halla im Süden jeweils in Richtung der innerkoreanischen Demarkationslinie geplant wurde. Ziel war, sich in der Mitte zu treffen und für eine friedliche Wiedervereinigung zu demonstrieren. Zahlreiche ausländische Gäste waren begeistert von dieser Idee und verlängerten daraufhin ihren Aufenthalt – genau wie ich. So wurden aus ursprünglich 2 Wochen plötzlich 5 Wochen in Nordkorea.
Während der Marsch in Südkorea nur eine Idee blieb, wurde der Marsch in Nordkorea dagegen zu einem Triumphzug, und die Abgesandte der südkoreanischen Studenten, Lim Su-kyung, wurde als Heldin gefeiert.
Als der Friedens- und Wiedervereinigungsmarsch an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea ankam, hieß es plötzlich, wir könnten nicht weiter nach Süden, weil man Angst habe, die südkoreanische Seite würde auf uns schießen. Obwohl der letzte südkoreanische Diktator zwei Jahre zuvor zum Rücktritt gezwungen wurde, war die Lage in Südkorea immer noch unruhig und gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Polizei und Studenten oder Gewerkschaften beinahe an der Tagesordnung. Daher ergaben die Befürchtungen damals auch durchaus Sinn für uns.
Als vor 25 Jahren die Mauer in Deutschland fiel, wurden die Menschen aus der DDR erst einmal mit offenen Armen in der Bundesrepublik empfangen. Die Befürchtung war damals nicht, dass die Grenzbeamten der Bundesrepublik schießen könnten, sondern vielmehr die der DDR.
Als wir vor 25 Jahren, im Juli des gleichen Jahres, und damit parallel zu den Ereignissen in Deutschland an der innerkoreanischen Grenze standen, war niemand da, der uns willkommen hieß.
Wäre die deutsche Mauer schon vor dem Marsch gefallen, ich bin mir sicher, der Marsch hätte in meinen Augen eine ganz andere, weltweite Aufmerksamkeit erfahren. Und Nordkorea hätte natürlich Farbe bekennen müssen, ob der nordkoreanische Wille zur friedlichen Wiedervereinigung nur reine Propaganda war, oder ob die nordkoreanische Führung ihre Leute wirklich in den Süden gelassen hätte. Weil der Marsch aber noch vor dem Mauerfall stattfand, hatte die Welt damals noch keine Ahnung, dass das Ost-West-Denken nicht in Stein gemeißelt, sondern tatsächlich überwindbar war.
Der Friedens- und Wiedervereinigungsmarsch war aus nordkoreanischer Sicht offenbar ein solcher Erfolg, dass dieser auch in den Folgejahren noch weitere Male in Nordkorea durchgeführt wurde. Und immer mit dem selben Ergebnis: Die Grenze nach Südkorea war geschlossen und jeder Person aus Südkorea drohten Haftstrafen, sollte diese sich erdreisten, an diesen Märschen teilzunehmen.
Dank des nationalen Sicherheitsgesetzes in Südkorea, einem unverwüstlichen Relikt aus der Zeit der Diktaturen, ist es Südkoreanern noch nicht mal möglich, sich mit den nordkoreanischen Vorschlägen auseinanderzusetzen ohne in Gefahr zu geraten, wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit verhaftet und verurteilt zu werden. Entsprechend werden die nordkoreanischen Bekundungen für eine friedliche Wiedervereinigung weiterhin als reine Propaganda abgetan.
So ist es kaum ein Wunder, wenn der deutsche Mauerfall nach 25 Jahren mittlerweile sowohl im Norden (aus politischen Gründen) als auch im Süden (aus wirtschaftlichen Gründen) eher mit großer Skepsis betrachtet wird.
Für mich persönlich ist jede Erinnerung an die deutsche Teilung auch immer eine Erinnerung an die verpasste Chance in Korea.
Weitere Artikel über diese Zeit:
Zur Bedeutung von Lim Su-Kyung in Nordkorea hat Prof. Andrei Lankov einen sehr guten Artikel verfasst: Im Su-kyong ― then, and now
Und auf Spiegel Online „einestages“ gibt es einen längeren Bericht zu den Ereignissen von 1989 in Nordkorea.